ACHTSAM, WIRKSAM UND GESUND IM PFLEGEBERUF

Pflegepolitik
DIE SICHT AUS DEM UNIVERSITÄREN BLICKWINKEL 

Beginnen wir mit einem professionellen Pflege­verständnis wie aus dem Märchen: Es war einmal eine Pflegerin/ein Pfleger, die/der Ängste, Krisen und Hürden des Arbeitsalltags erlebte, obwohl sie/er kaum über Ressourcen verfügte. Trotz der erschwer­ten Bedingungen brachte die Pflegerin/der Pfleger heldenhafte Taten hervor, die Selbstwirksamkeit erforderte … 

In der Realität lassen sich die alltäglichen Heraus­forderungen im Pflegeberuf nicht durch Wunder, Zufälle oder Zauber bewältigen. Vielmehr sind Qua­lifikation, Kompetenz, Selbstreflexion der eigenen Haltung (Achtung und Achtsamkeit) sowie Team­leistung und gegenseitige Unterstützung notwendig. Um der pflegerischen Tätigkeit mit ihren Aufgaben und Ansprüchen gerecht zu werden, ist die Bereit­schaft zum lebenslangen Lernen (Wissens­ und Kompetenzerwerb sowie Anwendung von Bewäl­tigungsstrategien) ausschlaggebend – einerseits formell durch Aus­ und Weiterbildungsmaßnahmen oder im Rahmen eines Studiums, andererseits in­ formell durch Austausch mit Arbeitskollegen, mit Patienten, den Angehörigen und Vorgesetzen über die gesamte Lebensspanne. 

Bereits bei der Berufswahl ist zentral die Frage nach Art und Form des Lernens – zum einen die Ausbildung zur Pflegefachkraft – zum anderen das Studium beispielsweise der Pflegewissenschaft. Die klassische Wahl ist bis dato die Ausbildung, die u.a. mit der Motivation für den Pflegeberuf „mit Men­schen zusammenarbeiten“, „Menschen unterstützen“ begründet werden kann. Die Berufsausbildung lässt den Wunsch relativ schnell wahr und die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen in der Praxis geschult umsetzen. Vom Novizen (Anfänger), der Unsicher­heiten mit Fachwissen zu bewältigen sucht, zum Experten, der kompetent neue Situation im Beruf meis­tert und Fachexpertise mit Arbeitskollegen teilt, ist stets lebenslanges Lernen die Notwendigkeit. 

Trotz der Fachexpertise, trotz der zahlreichen Er­ fahrungswerte sind alltäglich hohe Anforderungen gefragt und so stellen sich bereits examinierte Pflegefachkräfte folgende Fragen: 

  • Verfüge ich über aktuelles Fachwissen?
  • Ist mein Umgang mit Nähe und Distanz zu Patienten adäquat oder bin ich häufig mit deren Schicksalen überfordert?
  • Wie kann ich der anspruchsvollen Profession (um im Bild des Märchens zu bleiben, die quasi heldenhaften Taten im Berufsalltag vollbringen) versiert gerecht werden, sich selbst weiterentwickeln und von Kraftquellen im Pflegeberuf profitieren? 
  • Inwiefern würde ein Studium der Pflegepädagogik oder Pflegewissenschaft meine Berufspläne sinnvoll unterstützen? 
  • Ist das Studium an einer privaten, konfessionellen oder staatlichen Hochschule für meine individuelle Situation praktikabel und zielführend? 

Die Herausforderung dabei ist – kontinuierlicher Kompetenzerwerb durch lebenslanges Lernen. Lebenslanges Lernen hat zum Ziel professionelles Handeln im Sinne des Patienten und Erleben der eigenen Rolle im Beruf als sachkundig, sinnvoll
und selbstwirksam. Selbstwirksamkeit wiederum
ist zukunftsorientiert und will als Überzeugung von den eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen verstanden werden, die eine Aufgabe (auch in stressigen Situa­tionen) erfolgreich meistern lässt, auch im Sinne der selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Überzeugung der Selbstwirksamkeit (Erwartung von wirksamen Bewältigungsstrategien) lässt die Aufgaben mit Begeisterung, einer gewissen Euphorie, Zuver­sicht, Humor und Ausdauer meistern, während Selbstzweifeln, Bedenken hinsichtlich der eigenen Kompetenzen den Erfolg verhindern (können). Das wirksame Handhaben von Herausforderungen be­darf Unterstützung, Beratung und Wertschätzung der Arbeitskollegen und Vorgesetzten. Darüber hinaus ist auf die doppelte Perspektive hinzuweisen – Kompetenzerleben der Pflegefachkräfte und Auto­nomie des mündigen Patienten –, die als Dilemma in dem Pflegeberuf wahrnehmbar/naheliegend ist. Insofern ist ein Erwerb von Bewältigungsstrategien erwünscht, die es ermöglichen, Herausforderungen mit Zuversicht und Kompetenz zu begegnen, Ressourcen im Team zu mobilisieren und so den Berufs­alltag zu optimieren, gleichzeitig eigene Gesundheit zu fördern. 

Antonovsky (Medizinsoziologe), der die Theorie der Salutogenese prägt, stellt neben dem Verstehen (der konkreten Situation) und Handhaben (Bewälti­gungsstrategien; Unterstützungsmöglichkeiten) die Lebenskohärenz (Sinnhaftigkeit der eigenen Rolle/ Tätigkeit) in den Mittelpunkt der Gesundheit
(s. Abb.). 

Folgt man dem Modell der Salutogenese, wird die konkrete Situation in der Pflege durch Achtsamkeit und Methoden der Beobachtung, der Diagnostik ganzheitlich erfasst. Dank der Mobilisierung der vor­handenen Ressourcen (u.a. durch Kompetenzerwerb im Rahmen lebenslangen Lernens) und Unterstüt­zung der Arbeitskollegen und Angehörigen werden die alltäglichen Aufgaben und Herausforderungen kompetent gemeistert. Die Sinnhaftigkeit der eige­nen Rolle wird durch Selbstreflexion der eigenen Haltung und der jeweiligen Handlung evident, motiviert nachhaltig und stärkt die Selbstwirksam­keit. Gleichzeitig fördert die Selbstwirksamkeit die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden – Aspek­te, die als ein integraler Teil der Professionalität im Pflegeberuf zu verstehen sind. 

Und nun wieder zu unserem eingangs angeschnit­tenen Märchen, das Realität wird, wenn professio­nelles Pflegeverständnis das lebenslange Lernen beherzigt … 

Es gibt viele Pflegefachkräfte, die achtsam und wirk­sam agieren. Die alltägliche Herausforderung sehen sie als eine Chance für die eigene Entwicklung, für die gelebte Selbstwirksamkeit (wirksame Bewältigungsstrategien) in der Berufspraxis. Sie werden in der Gesellschaft für ihre achtungs­ und verantwortungsvolle Haltung sowie lebenslangen Kompetenz­erwerb wertgeschätzt. Und nun leben die Pflegefach­kräfte gesund, zur Freude seiner Arbeitskollegen, Patienten und Angehörigen und lernen kontinuier­lich mit Begeisterung weiter… 

TEXT: PROF. DR. MARIA MARCHWACKA, FREDERIC BÜHRER

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