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Kommen Schadensfälle durch Pflegepersonal häufig vor?
Die Statistik listet es Jahr für Jahr auf: Unfälle im häuslichen Bereich sind keine Seltenheit. Das gleiche gilt natürlich auch für die Pflege, sei es zuhause, im Pflegeheim, in einer Reha-Einrichtung oder auch im Krankenhaus. Den schwer gehbehinderten Menschen beim Waschen, beim Aufstehen so zu unterstützen, dass keiner von beiden stürzt, ist eine Kunst!

Bitte erläutern Sie dies etwas konkreter – aus Sicht Ihrer Mandanten.
Eine 85-jährige Frau lebt im Pflegeheim, sehr gehbehindert und herzkrank. An einem heißen Tag will sie mithilfe einer Pflegekraft aus dem Sessel aufstehen, um zur Toilette zu gehen und danach den Speisesaal aufzusuchen und das Mittagessen einzunehmen. Vielleicht verursacht durch die Hitze, vielleicht auch deshalb, weil die alte Dame zu wenig getrunken hat, gelingt es der Pflegekraft nicht – wie sonst –, der Dame aus dem Stuhl zu helfen, sondern sie beugt sich nach vorne und stürzt. Die Pflegekraft kann sie nicht auffangen, auch weil die alte Dame übergewichtig ist. Bei dem Sturz kommt es zum Bruch des Oberschenkelhalses, Folge: Operation, Krankenhausaufenthalt und Bettlägerigkeit etc. Meist sind es die Angehörigen, oftmals auch ein Betreuer, bisweilen auch die Krankenkassen, die nun geltend machen, die Pflegekraft hätte besser aufpassen müssen. Schon wegen der Hitze, des Alters und der bekannten Herzschwäche hätte ein kräftigerer Pfleger helfen müssen, der die alte Dame effektiver abgestützt hätte. Es geht nicht nur um den „Sturz im Pflegeheim“, auch um Maßnahmen des Rettungssanitäters, der zu einem Menschen gerufen wird, der sich nicht mehr verständigen kann. Und schließlich um den Sturz der Patientin in der Bäderabteilung einer Reha-Einrichtung auf feuchtem Boden, oder auf der Treppe im Krankenhaus.

Was wollen diese Mandanten nun genau von Ihnen wissen?
Wer in ein Krankenhaus geht, möchte geheilt werden und nicht mit Verletzungen entlassen werden! Jeder, der die Hilfe von Pflegepersonen, Medizinern und anderen Gesundheitsberufen in Anspruch nimmt, wird ein Fehlverhalten vermuten, wenn er bei diesen Aktivitäten verletzt oder geschädigt wird. Man muss nun aber genau unterscheiden: Geht es um einen Sturz aus „innerer Ursache“, sprich: bedingt durch einen Schwächeanfall, weil ich stolpere, im Dunkeln nichts sehen kann etc.? Oder hätte die Institution, die dem behinderten Menschen Hilfe verspricht, den Schadensfall vermeiden können? Wo liegt also der Fehler? a) Es gibt typische Fehler in der Pflege, z.B. : Die pflegebedürftige Person ruft um Hilfe, die Pflegeperson kümmert sich nicht. Die schwerstbehinderte Person wird täglich von Pflegekräften gewaschen und angezogen. Dabei werden Verletzungen oder ein entstehender Dekubitus übersehen. b) Die Realität ist komplizierter: Ob eine Rötung an der Haut wirklich Zeichen für einen Dekubitus ist oder nicht, kann im Einzelfall schwer abzugrenzen sein. Noch schwieriger ist das Thema „Sturzprophylaxe“. Je älter und immobiler die Heimbewohner werden, desto leichter kann es zum Sturz kommen. Im Streit steht dann, welcherart Vorsorge das Pflegeheim treffen muss, z.B. mehr Geländer, keine scharfen Ecken, Teppichboden oder Linoleum etc. Fachleute halten dem entgegen, dass Sturzprophylaxe effektiv vor allem beim Patienten selbst zu betreiben ist. Der Patient selbst muss durch tägliches Training veranlasst werden, sein Gleichgewicht so gut es eben geht zu erhalten etc.

Und was sagt der Jurist?
Wer im Pflegeheim stürzt, im Krankenhaus die Treppe herabfällt oder trotz Behandlung an einem Dekubitus erkrankt, stellt uns berechtigterweise die Frage, ob es dafür einen Verantwortlichen gibt, der zum Schadensersatz herangezogen werden kann. Gemeint ist hier insbesondere das Schmerzensgeld, unter Umständen auch zusätzliche Behandlungskosten bis hin zu einer Verlegung in eine andere Einrichtung – auf Kosten des Schädigers. Wer eine behinderte Person pflegt, ist verpflichtet, jeden Schaden zu vermeiden. Wer unaufmerksam handelt und der zu pflegenden Person Schaden zufügt, haftet nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entweder weil er den Pflegevertrag verletzt hat oder aber wegen eines Eingriffs in die körperliche Integrität, immer vorausgesetzt Fahrlässigkeit, d.h. ein Verstoß gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass die Anforderungen an den Grad der Sorgfalt sich unterscheiden, je nachdem, welche Ausbildung die Pflegekraft hat, welche Aufgaben sie übernommen hat und ob es sich um professionelle Pflegekräfte oder Pflege durch Angehörige, Nachbarn oder andere Personen handelt.

Lassen Sie uns einen anderen Fall konkret durchspielen: Die Patientin wird auf ärztliche Verordnung in der Bäderabteilung einer Klinik von einer Physiotherapeutin auf einem bettartigen Massagegerät (sogenannter „Hydrojet“) behandelt. Die Patientin rutscht nach der Behandlung auf dem Hydrojet beim Verlassen des Gerätes auf dem glatten Boden weg, fällt und bricht sich den linken Oberschenkel. Was tun?
a) Der nasse Boden ist nicht nur ein Problem in der Klinik, auch im Kaufhaus. Ganz allgemein sagen die Juristen, dass für den nassen Boden derjenige haftet, der den „Verkehr eröffnet“ hat. Mit Verkehr ist hier gemeint die Nutzung durch Dritte, sei es durch Kunden im Geschäft, Patienten in der Klinik etc. Ob das für die Haftung der Klinik ausreicht, ist für die Bäderabteilung natürlich gesondert zu prüfen. Es könnte der Bäderabteilung auch eigentümlich sein, dass der Boden feucht ist etc. b) Nicht erst seit der Behindertenrechtskonvention sieht sich die Gesellschaft (und Politik) in besonderer Wiese verpflichtet, Schäden auszugleichen (und natürlich auch zu vermeiden), die bei der Behandlung und Pflege behinderter Menschen entstehen. Deshalb hat vor vielen Jahren der Deutsche Bundestag behinderte Menschen, die sich in einer Rehabilitationseinrichtung behandeln lassen, dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterstellt. Die Patientin, die nach Verlassen des Hydrojets in der Reha-Einrichtung ausrutscht, erleidet – wie wir formulieren – einen „Arbeitsunfall“, der einen Entschädigungsanspruch auslösen kann, wenn durch den Unfall ein Dauerschaden verbleibt (z.B. Gehbehinderung nach Bruch des Oberschenkelhalses). Dieser Dauerschaden kann zu einem Anspruch auf Verletztenrente führen, unabhängig davon, wie alt die verletzte Person im Unfallzeitpunkt war, also gegebenenfalls auch viele Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben.

Kommen wir nochmal zurück zu der Patientin, die nach dem Aufstehen von dem Hydrojet stürzte. Kann sie also doppelten Ersatz verlangen?
Zunächst hatte die zuständige Berufsgenossenschaft abgelehnt mit dem Argument, dass der Sturz nach dem Aufstehen Teil der Therapie war, die nicht unter Unfallversicherungsschutz steht, so dass ausschließlich die Klinik haftet – vorausgesetzt ihr kann ein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Das Bundessozialgericht sah dies anders und entschied: Das Hinlegen oder Aufstehen von einem Gerät, auf dem eine therapeutische Behandlung stattfindet, ist Teil der nach dem Gesetz versicherten Mitwirkung an der Behandlung. Ein sachlicher Zusammenhang ist gegeben, wenn Versicherte sich in der Einrichtung zu den angeordneten Behandlungen begeben oder Handlungen vornehmen, die vom Behandelnden angeordnet werden oder für die Durchführung der Behandlung notwendig sind. Ob daneben die Klinik ihrerseits z.B. auf Schmerzensgeld haftet, ist gesondert zu prüfen. Das Schmerzensgeld ist – wie wir Juristen formulieren – nicht „kongruent“ mit dem Verletztengeld, so dass hier im Einzelfall eine doppelte Leistung denkbar ist.

Wie geht es nun mit der Pflegeperson weiter?
a) Die Physiotherapeutin, der die Patientin beim Absteigen aus dem Hydrojet „entglitten“ ist, oder die Pflegekraft, die den Sturz der Heimbewohnerin nicht verhindert oder nicht verhindern kann, werden in aller Regel nicht zum Schadenersatz herangezogen. Hier gelten Schutzvorschriften aus dem Arbeitsrecht – immer vorausgesetzt, es liegt keine grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz vor. b) Kliniken, Pflegeheime, Reha-Einrichtungen sind von Gesetzes wegen verpflichtet, größtmögliche Sorgfalt an den Tag zu legen, u.a. durch regelmäßige Fortbildung des Personals, aber auch durch Prüfungen und Stichproben. c) Der Patient selbst kann sich nicht durch eine gesonderte Versicherung absichern. Gegebenenfalls kann er seine eigene private Unfallversicherung in Anspruch nehmen. Sinnvoller ist aber die Prüfung, ob im Einzelfall nicht doch ein „Arbeitsunfall“ vorliegt, der bei der zuständigen Berufsgenossenschaft bzw. der Unfallkasse anzumelden wäre. d) Natürlich gilt für den Patienten das gleiche wie für die Einrichtung: Sturzprophylaxe ist ein Thema für uns alle – so wie es das jüngst verabschiedete Gesetz über die Prävention politisch zum Thema gemacht hat. e) Übrigens: Oft genug stürzen auch die Pflegekräfte; sie sind als Arbeitnehmer unfallversichert oder auch als nicht professionelle Pflegeperson (insbesondere Angehörige bei der Pflege zu Hause).
Sehr geehrter Herr Prof. Plagemann, vielen Dank für das Gespräch.

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